Ampel-Aus: Spannung und Fluchtreflexe in der FDP
Die FDP steht vor einem Zerreißprozess. Die Entscheidung, die Koalition mit der CDU und den Grünen zu verlassen, hat eine politische Erdbebenwirkung ausgelöst. Die Partei befürchtet, ihre Identität zu verlieren und in der Opposition zu verschwinden. Die Führungsspitze um den Bundesvorsitzenden Christian Lindner steht unter Druck, die Partei wieder auf Kurs zu bringen. Doch die Schiedsrichter in der Partei sind sich uneinig, wie es weitergehen soll. Während einige für einen Kurswechsel plädieren, warnen andere vor einem politischen Selbstmord. Die Zukunft der FDP hängt von der Lösung dieser Krise ab.
Ampel aus der Krise: FDP-Vertreter in Hinterzimmer-Diskussion über Koalitions-Zukunft
Im 24. Stock des rot geklinkerten Kollhoff-Towers am Potsdamer Platz haben die geladenen Gäste in der Panoramapunkt-Bar einen herrlichen Überblick über Berlins Mitte und das Regierungsviertel. Bei Crémant und Häppchen geht es hier beim Empfang des FDP-Fraktionsvorstands darum, ob die Akteure in der Bundesregierung bei der Fülle an krisenhaften Zuspitzungen auch inhaltlich noch den Überblick und die Nerven behalten.
Und natürlich beschäftigt die Gäste an diesem Dienstagabend, ob die FDP die Ampelkoalition wirklich vorzeitig platzen lassen könnte. Wie ernst es ihr ist mit dem von FDP-Chef Christian Lindner angedrohten „Herbst der Entscheidungen“ wirklich ist. Denn SPD, Grüne und FDP haben bis zum Jahresende noch Mammutprojekte vor sich, von denen jedes einzelne Sprengstoffpotenzial für die Koalition hat.
FDP-Fraktionschef Lindner droht mit Herbst der Entscheidungen - Was es bedeutet
Da ist der knappe Bundeshaushalt für das kommende Jahr, der am 14. November abschließend vom Haushaltsausschuss beraten und danach im Bundestag beschlossen werden soll. Probleme bei der Einhaltung der neuen EU-Fiskalregeln machen wohl zusätzliche Einsparungen nötig, wie am Mittwoch bekannt wurde.
Knackpunkt ist zudem die eigentlich vereinbarte Wachstumsinitiative mit 49 Maßnahmen, von denen viele aber noch keine Gesetzesform haben und in den Fraktionen strittig sind. Für weitere Anspannung sorgt aktuell eine neue Blockadesituation: Weil die SPD plötzlich Steuererleichterungen für Besserverdienende durch den Abbau der kalten Progression wieder infrage stellt, hat Lindner die von der SPD geforderte Anhebung der Beitragsbemessungsgrenzen für die Sozialversicherung vorerst blockiert.
Und dann ist da noch das Rentenpaket, das vielen FDP-Abgeordneten so große Bauchschmerzen bereitet, dass sie sogar gegen Lindner meutern, der dem Paket schon zugestimmt hatte.
Krisenhafte Spannung in der FDP: Wie ernst es ihr ist mit dem Ampel-Verbleib
Fragt man in der Panoramapunkt-Bar die FDP-Abgeordneten, ob ihre Partei die Ampelkoalition vorzeitig verlässt, lautet die Antwort „eher nicht“. Zwar seien die Nerven noch nie so angespannt gewesen. Aber dass man der Ampel wirklich den Stecker ziehen würde – das halten die FDP-Vertreter hier immer noch für das unwahrscheinlichere Szenario.
Am Rentenpaket jedenfalls solle die Ampel nicht scheitern, haben Fraktionschef Christian Dürr und Generalsekretär Bijan Djir-Sarai vorgegeben. Wäre es so, hätte sich die FDP nämlich doppelt schuldig gemacht – sie hätte die Ampel auf dem Gewissen und bessere Renten für Millionen Ältere hätte sie auch verhindert.
Allerdings versucht eine größere Gruppe in der Fraktion, angeführt von Parlamentsgeschäftsführer Johannes Vogel, SPD und Grünen in Verhandlungen noch Maßnahmen abzutrotzen, die den Rentenbeitragsanstieg für jüngere Generationen dämpfen würden.
Denkbar wäre eine Haltelinie auch für die Beiträge. Oder das Generationenkapital, der zweite Teil des Pakets, würde deutlich vergrößert. Oder die statistischen Berechnungsgrundlagen für die Rente würden zugunsten Jüngerer verändert.
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Beim Haushalt und der Wachstumsinitiative ist auch in der FDP-Spitze mehr Härte zu spüren. Hier geht es tatsächlich ums Eingemachte, um die Frage, ob diese Bundesregierung die richtigen Weichen für mehr Wachstum stellt, das alle drei Parteien benötigen, um bei der nächsten Wahl nicht bedeutungslos zu werden.
SPD und Grüne wollen mehr Schulden und mehr Ausgaben etwa für humanitäre Hilfe, die FDP stemmt sich dagegen. Die FDP will das Lieferkettengesetz stoppen, Vorbehalte kommen von den Grünen. Die FDP will das Arbeitszeitgesetz flexibilisieren, doch die SPD bremst.
„Die Koalition muss die Grundlage schaffen, damit Deutschland den wirtschaftlichen Abstiegsplatz verlässt. Es kann nur eine Zustimmung zum Haushalt 2025 geben, wenn gleichzeitig Reformen für mehr Wachstum umgesetzt werden“, sagt der FDP-Abgeordnete Frank Schäffler, einer der Rebellen.
Im Nacken sitzt Lindner auch die unzufriedene Parteibasis. Angesichts der Vielzahl verlorener Landtagswahlen und aktueller Umfragewerte unter der Fünf-Prozent-Marke fragen sich viele Mitglieder, ob nicht doch der frühzeitige Ampel-Ausstieg besser wäre.
Aus Hessen kommt dazu ein neuer Anlauf für einen Mitgliederentscheid. „Die Unzufriedenheit über die jetzige Bundesregierung ist für uns mittlerweile so groß geworden, dass wir uns Sorgen über die zukünftige Existenz der Liberalen in Deutschland machen“, heißt es in dem Aufruf.
Bei einer Mitgliederbefragung Ende 2023 hatte sich nur eine knappe Mehrheit von 52 Prozent für den Ampel-Verbleib ausgesprochen.
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Ginge es nach der Meinung von Experten, müsste die FDP in der Regierung bleiben. „Es ist falsch anzunehmen, dass ein vorzeitiges Verlassen der Ampelkoalition für die FDP vorteilhaft wäre. Ihre Wählerklientel erwartet, dass sie in der Regierung vor allem für weniger Bürokratie, für weniger Gängelung durch den Staat sorgt“, sagt etwa Manfred Güllner, Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa.
Auch der Bonner Politikwissenschaftler Frank Decker sieht Vorteile für die FDP im Verbleib. „Wenn die FDP die Koalition platzen lassen würde, würden die Bürger sie als Schuldige abstrafen. Umfragen zeigen ganz klar, dass die Bürger keine vorgezogenen Neuwahlen wollen.“
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