Karin Wilcke über Stress und seine individuelle Wahrnehmung
Die Frage nach dem Stress und seiner Wirkung auf den Menschen beschäftigt Wissenschaftler und Forscher seit langem. Doch wie erfahren wir Stress eigentlich? Die Antwort darauf ist nicht so eindeutig, wie man vielleicht denken würde. Denn die individuelle Wahrnehmung von Stress spielt eine entscheidende Rolle. Die Expertin Karin Wilcke hat sich dieser Fragestellung angenommen und bietet uns Einblicke in ihre Forschungsergebnisse. In diesem Artikel erfahren wir, wie Stress entsteht, wie wir ihn wahrnehmen und wie wir ihn erfolgreich managen können.
Der stressigste Job der Welt: Eine chinesische Studie über die individuelle Wahrnehmung von Stress und Belastung
Eine chinesische Universität in der Stadt Guangzhou hat in einer Langzeitstudie 17 Jahre lang 136.000 Menschen befragt. Das klingt nach viel, relativiert sich aber, wenn man weiß, dass allein die Stadt mehr als 18 Millionen Einwohner hat.
Ergebnis der Untersuchung: Sie sagen, sie hätten den stressigsten Job der Welt herausgefunden. Und welcher ist das? Der Job der Kellnerin. Jetzt sind Sie enttäuscht, weil Sie Ihren Job als stressig empfinden, aber nicht in der Gastronomie arbeiten?
Ich kenne eine Menge Studentinnen, die ihren Kellner-Job ausgesprochen gerne machen. Und die ihr Studium als stressig empfinden. Einer Befragung von drei großen deutschen Krankenkassen zufolge sind bei uns die Krankschreibungen auf einem Rekordniveau, und zwar hauptsächlich wegen psychischer Belastung.
Kellnern die alle? Ich vermute mal, dass man weder hier noch in China den stressigsten Job überhaupt herausfinden kann, denn jeder Mensch erlebt seinen Arbeitsalltag anders. Einem Herzchirurgen hätte ich einen hohen Stresslevel zugebilligt, doch der Mann ist die Ruhe selbst. Seine Sekretärin hält ihren Ehemann für besonders gestresst, weil der als Busfahrer regelmäßig für etwa 70 Menschenleben verantwortlich sei, ihr Chef ja immer nur für eines.
Alles eine Frage der Perspektive also. Studentin Emilia fühlt sich so sehr gestresst, dass sie zum Termin bei mir gar nicht kommen und schon überhaupt nicht über ihre berufliche Zukunft nachdenken will. Sie möchte nächsten Sommer ihre Bachelorarbeit schreiben und muss bis dahin im jetzt beginnenden Wintersemester alle ihre Creditpoints (früher hieß das mal Scheine) zusammen kriegen.
Ich helfe ihr bei der Planung, und so sortiert, sieht das schon viel überschaubarer aus. Und einen Plan dafür, wofür und wo sie sich bewerben wird, haben wir auch gemacht. Jetzt schaut sie ein kleines bisschen gelassener auf das kommende Jahr.
Da sie eine sehr gute Studentin ist, können viele ihren Stress gar nicht nachvollziehen. Gute Studenten setzen sich selbst unter Druck. Mein alter Chef hat immer gesagt, dass dieser Examensstress positiv ist, denn die ganz gelassenen Kandidaten fielen häufig auch ganz gelassen durch.
Im Studium kann man viel von dem unangenehmen und selbstgemachten Zeitdruck-Stress vermeiden, indem man versucht, nicht zu den Last-Minute-Arbeitern zu gehören. Prüfungs- und Abgabetermine stehen lange vorher fest. Doch die Tradition, die Nächte vor Abgabe der Examensarbeit durchzumachen und morgens völlig fertig im Copy-Shop zu stehen, scheint ungebrochen.
Uff, ich habe diesen Text gerade fünf Minuten vor der Deadline fertigbekommen. Was für ein Stress.
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