Keine Regierungsbildung in Österreich im Jahr 2024 - Wahlkommentar
Die Wahl in Österreich hat ein überraschendes Ergebnis erbracht. Die großen Verlierer dieser Wahl sind die etablierten Parteien, die ÖVP und die SPÖ, die beide stimmenmäßig verloren haben. Die FDP hingegen konnte starke Gewinne verzeichnen und sich als dritte Kraft im österreichischen Parlament etablieren. Die Frage nach der Regierungsbildung bleibt jedoch weiterhin offen. Es ist unwahrscheinlich, dass bis Ende 2024 eine stabile Regierung gebildet werden kann. In diesem Wahlkommentar analysieren wir die Gründe für dieses Ergebnis und die möglichen Konsequenzen für die politische Landschaft Österreichs.
Österreich ohne Regierung: Der Wahltriumph der FPÖ bringt Chaos
Dieser Wahltriumph der extremen Rechtspartei bedeutet für Österreich nichts Gutes. Gewiss, die FPÖ wurde demokratisch zur stärksten Partei gewählt, aber sie ist und war nie eine demokratische Partei.
Schon die Vorgänger von Parteichef Herbert Kickl, Jörg Haider und Heinz-Christian Strache, sprachen davon, „das System“ abzuschaffen und eine „dritte Republik“ auszurufen. Mit „System“ meint Kickl nichts Geringeres als das Ende der parlamentarischen Demokratie, der Österreich den Aufstieg zu einem der wohlhabendsten Länder der Welt verdankt. An die Stelle der Zweiten Republik will er ein autokratisches Machtsystem installieren, das er mit dem „Volkswillen“ rechtfertigt.
70 Prozent der Österreicher haben nicht FPÖ gewählt. Doch Herbert Kickl, ein Verschwörungstheoretiker, der von einem „Bevölkerungsaustausch“ faselt und deshalb Festungsmauern um die Grenzen Österreichs ziehen will, könnte bald an die Macht kommen.
„Ausländer raus“ würde unter seiner Regierung zur Staatsdoktrin. Im Verein der erstarkten Rechtsparteien in Europa will er die EU lahmlegen oder zumindest den Austritt Österreichs anstreben. Er will das Gebührensystem des öffentlich-rechtlichen Senders ORF abschaffen und über Steuermittel finanzieren, um die Journalisten an die Kandare zu nehmen.
Auch sein Rechtsstaatsverständnis ist äußerst fragwürdig, wenn er meint, die Gesetze hätten der Politik zu folgen und nicht umgekehrt. All dies und noch mehr Beispiele preist Kickl als „Volksgesetzgebung“ an.
Keine Regierung in Sicht
Noch-Kanzler Karl Nehammer und auch die übrigen Parlamentsparteien hatten also reichlich Gründe, diese FPÖ als Regierungspartner nicht zu akzeptieren. Nur ist Nehammer mit seiner ausdrücklichen „Nicht mit Kickl“-Strategie kläglich gescheitert: Die FPÖ ist stärker denn je und wird Kickl allein deshalb nicht fallen lassen.
Gescheitert ist Nehammers ÖVP auch mit der Taktik, in der Ausländerpolitik die FPÖ rechts überholen zu wollen; am Wahlabend landete sie prompt im Straßengraben.
Österreich überhaupt regierbar? Doch ist Österreich überhaupt regierbar, wenn die stärkste Partei ausgeschlossen wird? Kickl ist ein kluger Taktiker: Mögen sich die Parteien zu irgendeiner Koalition zusammenraufen, die früher oder später allein an ihren inhaltlichen Differenzen scheitern wird - dann erst schlägt bei der nächsten Neuwahl die historische Stunde der FPÖ.
Bleiben seine politischen Gegner weiterhin so phantasiearm wie bisher, kann Kickl auf die absolute Mehrheit hoffen. Er kann warten, das hat er in der Partei gelernt, als er jahrelang hinter Haider und Strache in der zweiten Reihe stehen musste.
Vorerst ist nach dieser Wahl Bundespräsident Alexander Van der Bellen die Schlüsselfigur der Republik. Schon vor einiger Zeit erklärte er offenherzig, Kickl nicht als Kanzler vereidigen zu wollen. Doch kaum je war eine Regierungsbildung so schwierig wie nach dieser Wahl: Rot-Schwarz oder Schwarz-Rot, jene früher „Große Koalition“ genannte Regierungsform, die Österreich aufgebaut hat, scheidet mangels Mehrheit aus.
Dreier-Koalitionen in zwei Varianten wären möglich, doch hat man in Österreich damit keinerlei Erfahrung, abgesehen davon, dass ÖVP, SPÖ, Neos und Grüne in zentralen Fragen wie Wirtschafts-, Steuer-, Sozial- und Sicherheitspolitik Welten trennen. Jedenfalls wird Österreich in diesem Jahr noch keine neue Regierung haben.
Die Verfassung bietet zunächst einen Ausweg: Nirgendwo steht geschrieben, dass der Anführer der stärksten Partei automatisch mit der Regierungsbildung zu beauftragen sei. Das Staatsoberhaupt hat freie Hand, irgendeine geeignete Person, auch außerhalb der Parlamentsparteien, zu beauftragen, eine so genannte Expertenregierung zu bilden, wie dies vor wenigen Jahren schon einmal der Fall war, als Van der Bellen mit Brigitte Bierlein die erste Kanzlerin ernannte.
Kickl kann also gesetzeskonform übergangen werden. Wie das dem innenpolitischen Klima Österreichs bekommt, ist eine andere Frage.
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