Angriffe auf Wahlkampfhelfer in Essen & Düsseldorf: Eine Verrohung der Grund?

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Angriffe auf Wahlkampfhelfer in Essen & Düsseldorf: Eine Verrohung der Grund?

In den letzten Tagen haben schockierende Angriffe auf Wahlkampfhelfer in Essen und Düsseldorf für Empörung und Besorgnis gesorgt. Die Frage stellt sich, ob diese gewalttätigen Übergriffe ein Symptom für eine Verrohung der Grundwerte in unserer Gesellschaft sind. Die politische Polarisierung scheint zunehmend zu Gewalt und Aggression zu führen. Es ist höchste Zeit, dass wir uns mit dieser Entwicklung auseinandersetzen und nach Lösungen suchen, um die Demokratie und die Meinungsfreiheit zu schützen.

Verrohung in Deutschland: Eine Krise der Zivilisation?

Vor wenigen Jahren noch schien es abwegig, dass Freiwillige, die eine demokratische Wahl vorbereiten oder Sanitäter, die anderen zu Hilfe eilen, gefährdet sein könnten. Dass sie verbalen Attacken ausgesetzt sein könnten und immer häufiger auch körperlicher Gewalt – mit massiven Folgen.

Wer tut so was?, fragt sich ein Teil der Bevölkerung, und es ist die Mehrheit. Doch es gibt eben auch einen anderen Teil, der mit den Achseln zuckt, wenn es gegen vermeintliche Autoritätspersonen oder Vertreter von Staat und Demokratie geht. Und es gibt die, die zuschlagen.

Angriffe auf Wahlkampfhelfer: Ein Zeichen für eine verrohte Gesellschaft?

Angriffe auf Wahlkampfhelfer: Ein Zeichen für eine verrohte Gesellschaft?

Der SPD-Europaabgeordnete Matthias Ecke hat sich nach einer Attacke gegen ihn mit einem Dank aus dem Krankenhaus gemeldet. Foto: dpa/Matthias Ecke

Wenn es nun an die Ursachen geht, ist oft zu hören, die „gesellschaftliche Verrohung“ sei schuld. Das kann viel bedeuten. Das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache hat sich empirisch mit dem Vorkommen des Begriffs beschäftigt: Demnach taucht die Verrohung auf, wenn zunehmende Brutalität, Gewalttätigkeit und Rücksichtslosigkeit gemeint sind. Außerdem, wenn es um den Niedergang gesellschaftlicher Werte geht, um zunehmende geistige und sittliche Verwahrlosung, Derbheit, Unkultiviertheit.

Um das Abstumpfen von Menschen gegenüber Gewalt. Wer die Attacken etwa jüngst auf Helfer im Europawahlkampf auf Verrohung zurückführt, erklärt sie also zum Symptom für eine bestimmte Art von Enthemmung. Für den Verlust der basalen Übereinkunft, einander nicht weh zu tun.

Die Verrohung Deutschlands: Eine Analyse der neuen Gewaltformen

Die Verrohung Deutschlands: Eine Analyse der neuen Gewaltformen

Streiten ja, Zuschlagen nein. Eigentlich lernt man das im Kindergartenalter, und danach sollte die Lektion sitzen. Doch die aktuellen Fälle zeigen in ihrer Häufung, dass Menschen zurückfallen können hinter diese einfachste Konvention.

Gerade die Angriffe auf Helfer, die Plakate aufhängen, haben etwas Archaisches: Junge Männer ziehen los, um ihr „Revier“ zu markieren. Oder vielmehr, um Symbole der Demokratie wie Wahlplakate aus ihrem „Revier“ zu entfernen.

Sie nehmen sich das heraus, weil sie glauben, dass die Zeit gekommen ist. Natürlich hat es auch früher körperliche Auseinandersetzungen gegeben. Aber dann ging es eher um Affekte. Um Wut, die hochkocht. Nicht aber um den kühl gefassten Entschluss, eine Plakatiernacht zu nutzen, um Aggressionen auf die Straße zu tragen gegen Menschen, die man nicht kennt, die nur vage für etwas Verhasstes stehen und die wehrlos sind, weil sie mit Gewalt bisher nicht rechnen mussten.

Die brutale Kaltschnäuzigkeit verbunden mit dem aufgepumpten Selbstbewusstsein, man sei zu solchen Aktionen quasi berechtigt, macht den Unterschied zur „gewöhnlichen“ Prügelei. Das ist eine andere „Qualität“, für die Verrohung ein taugliches Etikett scheint.

Neben der gesunkenen Hemmschwelle für Gewalt geht es bei der Verrohungsthese auch um die Abkehr von Werten, die ebenfalls lange selbstverständlich schienen. Die Übereinkunft etwa, dass die Demokratie, bei allen Schwächen, die beste aller Formen des Zusammenlebens darstellt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg und während des Kalten Krieges galt das als Markenkern der westlichen Welt. Und zu der wollte man gehören. Doch die alte Ordnung löst sich auf, neue Mächte gewinnen schnell und mächtig an Einfluss. In einer multipolaren Weltordnung sortieren sich auch Wertvorstellungen neu. Und was gewiss schien, ist es nicht mehr.

Putin als einen starken Mann zu bewundern, die autoritäre Schlagkraft Chinas zu loben oder Autokraten wie Trump für die Macher der Zukunft zu halten – solche Meinungen werden auch in Deutschland vertreten. Das gehört zur Meinungsfreiheit.

In manchen digitalen Echokammern sind sie aber ausschließlich zu hören, und verstärken sich. Es geht beim Thema Verrohung also nicht nur um den Rückfall in archaisches Verhalten, sondern auch um neue Orte der „sittlichen Derbheit“, in denen mental vorbereitet wird, was sich dann auf der Straße ereignet.

„Im Netz geht es darum, möglichst viele Likes zu bekommen – und das Negative bewegt mehr als das Positive“, sagt der Sozialpsychologe Dieter Frey von der LMU München. So entstehe eine Gemeinschaft, die das Abwertende immer weiter überbieten wolle.

Nun komme es darauf an, dass sich die Gegenstimmen ebenfalls laut zu Wort meldeten, und etwa die Übergriffe anprangern. Außerdem müssten strafbare Äußerungen auch bestraft werden. „Sonst setzt sich die negative Dynamik fort“, sagt Frey.

Demokratie braucht Menschen, die dialogfähig sind, sich für andere interessieren, andere Meinungen nicht als Bedrohung empfinden. Mündige Bürger. Die Voraussetzungen dafür sind nicht einfach gegeben.

Menschen, die in der Bildung arbeiten, fordern schon lange, dass es viel mehr Anstrengungen geben müsste, um Medienkompetenz und Dialogfähigkeit zu stärken. Und so gegen jene zu immunisieren, die das Recht des Stärkeren predigen und Drohung, Einschüchterung, Gewalt für vertretbare Mittel in gesellschaftlichen Auseinandersetzungen halten.

Und das ist keine Frage der Parteizugehörigkeit. Viele empfinden die Gegenwart als erschöpfend. Alles muss erstritten werden vom Kita-Platz, über den Wohnraum bis zum Platz im Pflegeheim. Die Ressourcen werden knapper. Über den Zugang entscheidet Geld.

Kaum ein Lebensbereich ist vom Konkurrenzkampf ausgenommen. Und zum Konkurrenzdenken unseres Wirtschaftssystems gehört eben auch, dass es Verlierer gibt, Gekränkte. Menschen, die sich ständig vergleichen und sich nicht alles leisten können.

Die nach Schuldigen suchen und nach einfachen Wegen, ihr Ego aufzubauen. „Herkunft entscheidet in Deutschland noch immer stark über Bildungs- und Berufschancen, natürlich gibt es junge Menschen, vor allem Männer, die das Gefühl haben, zu kurz zu kommen“, sagt Frey.

Das verleite dazu, sich Gruppen anzuschließen, die für Unzufriedenheit und Unsicherheit einfache Lösungen anböten. Und zum stärkenden Wir-Gefühl gehört dann im Zweifel auch, auf andere loszugehen.

Verrohung, das klingt nach Verlust eines längst erreichten Zivilisationsgrads. Es ist womöglich aber auch ein Reflex auf moderne Lebensumstände, die dem einzelnen viel abverlangen. Und dem Miteinander auch.

Holger Hofmann

Ich bin Holger, ein erfahrener Redaktionsleiter von Hol Aktuell, einer generalistischen Zeitung mit nationalen und internationalen Nachrichten. Mein Team und ich sind bekannt für unsere strenge und objektive Berichterstattung. Mit meiner langjährigen Erfahrung als Journalist habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, unseren Lesern stets aktuelle und relevante Informationen zu bieten. Meine Leidenschaft für den Journalismus treibt mich jeden Tag an, die besten Geschichten zu finden und sie professionell aufzubereiten.

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