Das Vereinigte Königreich: Linke Parteien wahlen gegen den Trend in der britischen Parlamentswahl 2024

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Das Vereinigte Königreich: Linke Parteien wahlen gegen den Trend in der britischen Parlamentswahl 2024

In Großbritannien hat sich in der Parlamentswahl 2024 ein überraschendes Bild gezeigt. Trotz des landesweiten Trends, der eher zu einer konservativen Mehrheit tendierte, haben die linken Parteien überraschend viele Stimmen erhalten. In einer Zeit, in der viele europäische Länder eine Rechtsverschiebung erleben, konnten die linken Kräfte in Großbritannien gegen den Trend anzutreten und sich als wichtige Stimme in der politischen Landschaft etablieren. Dieser Wahlausgang wirft Fragen auf über die Zukunft der britischen Politik und die Rolle der linken Parteien darin. Wir werfen einen Blick auf die Ergebnisse und versuchen, die Gründe für diesen überraschenden Wahlausgang zu analysieren.

Gegen den Trend: Linke Parteien wachsen in Großbritannien während Rechtspopulismus in Europa aufblüht

Während auf dem Kontinent – sei es in Frankreich, Italien und in vielen anderen Staaten – rechtsradikale Kräfte erstarken und rechtspopulistische Parteien an die Macht kommen, zeichnet sich für die anstehenden Wahlen im Vereinigten Königreich ein ganz anderes Bild ab.

Sollten nicht Millionen von Briten über die vergangenen zwei Jahre die Meinungsforscher angelogen haben, wird an diesem Freitag die konservative Regierung durch eine linke abgelöst. Darüber hinaus dürfte die Labourpartei mit einer derart großen Mehrheit ins Amt gelangen, dass Beobachter mit einer mindestens zehnjährigen Amtszeit rechnen.

Ein Ausnahmefall in Europa: Das Vereinigte Königreich wählt links, während Rechtsradikale in anderen Ländern an die Macht kommen

Ein Ausnahmefall in Europa: Das Vereinigte Königreich wählt links, während Rechtsradikale in anderen Ländern an die Macht kommen

Mitte-Links im Aufschwung – wo gibt es das heutzutage sonst noch? Und warum geschieht im Königreich, was anderswo in Europa so ganz gegen den Trend ist? Die Antwort ist vielfältig, aber ein wichtiger Grund ist: Man besitzt ein Bollwerk gegen extreme Strömungen, und das ist das Mehrheitswahlrecht. Ein Listensystem gibt es nicht. Gewählt wird, wer in einem Wahlkreis die meisten Stimmen holt, alle anderen Stimmen fallen unter den Tisch.

Das Mehrheitswahlrecht begünstigt die großen Parteien, also die Konservativen und Labour. Es führt zu stabilen Verhältnissen und verurteilt die kleineren Parteien zu einem Schattendasein. Es verhindert, dass extreme Bewegungen, sei es von links oder rechts, eine nennenswerte Repräsentanz im Parlament finden können.

Großbritannien schwimmt gegen den Strom: Linke Parteien erobern die britische Politik, während Rechtspopulisten in Europa Erfolg haben

Die heutige „Reform UK“, angeführt von „Mister Brexit“ Nigel Farage, ist stramm rechts ausgerichtet und erfreut sich in der Wählergunst eines Zuspruchs von rund 17 Prozent, aber sie wird nur eine Handvoll Sitze erringen können. Die Ironie dabei ist: Je populärer Reform, desto besser für Labour. Denn die nationalpopulistische Bewegung spaltet die Stimme der Rechten, schwächt damit die Regierungspartei der Konservativen und wird die Mehrheit für die Sozialdemokraten noch größer ausfallen lassen.

Der zweite Grund für den linken Aufschwung sind 14 Jahre konservativer Regierung. Angetreten 2010 in einer Koalition mit den Liberaldemokraten, rückten die Konservativen nach ihrem Wahlsieg 2015 weiter nach rechts. Nach dem Brexit-Referendum von 2016 wurden die radikalen Stimmen innerhalb der Regierungsfraktion immer lauter.

Man darf sagen: Die Rechtspopulisten waren in der Regierung angekommen. Und sie machten keine gute Figur. Die Probleme im Land wurden größer. Darauf wies der Labour-Chef Keir Starmer zu Beginn des Wahlkampfs hin. „Nach 14 Jahren unter den Torys“, sagte er, „scheint nichts mehr zu funktionieren.“ So unrecht hat er nicht.

Eine Rekordzahl von 7,6 Millionen Menschen stehen zurzeit auf der Warteliste für den staatlichen Gesundheitsdienst NHS. Wasserwerke leiten ungestraft Fäkalien in die Flüsse ein. Die Polizei wurde angewiesen, weniger Verhaftungen durchzuführen, weil die Gefängnisse überfüllt sind. Eine Pleitewelle kommt auf die Kommunen zu.

Angesichts der Inkompetenz einer stramm rechten Regierung nimmt es nicht wunder, dass die Bürger sich jetzt eine linke Alternative für Großbritannien wünschen.

Der Brexit war das Vorzeigeprojekt der Nationalpopulisten und er hat sich nicht als der Erfolg erwiesen, den sie versprochen hatten. Die Einwanderung ins Königreich ist angestiegen, statt gefallen. Die wirtschaftlichen Probleme sind größer geworden. Das Bruttoinlandsprodukt wird langfristig, so schätzt die Behörde „Office for Budget Responsibility“, Einbußen von vier Prozent verzeichnen.

Bis heute, so fand das Institut „Cambridge Economics“ heraus, belaufen sich die Kosten des Brexits für die Volkswirtschaft auf 140 Milliarden Pfund, umgerechnet rund 165 Milliarden Euro. Acht Jahre nach dem Referendum, so zeigen es Umfragen, halten rund zwei Drittel der Briten die Entscheidung für einen Fehler.

„Der 23. Juni 2016“, meint der Kolumnist Janan Ganesh, „war ein Sieg, von dem sich der britische Nationalismus noch nicht erholt hat.“

Sind die Briten vielleicht einfach linker eingestellt als andere Europäer? Eher nicht, wenn man sich die Erfolgsbilanz von Labour anschaut. In den 79 Jahren seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs war die Arbeiterpartei nur 30 Jahre an der Macht. Tony Blair hat seinen Parteigenossen immer eingebläut, dass die Briten instinktiv konservativ eingestellt sind.

Andererseits finden rechtsextremistische Anschauungen und Einstellungen im modernen Großbritannien kein Publikum. Die Integration ethnischer Minderheiten läuft gut. In keinem anderen Land in Europa gibt es so viele Politiker mit Migrationshintergrund in Führungspositionen.

Der Noch-Premierminister ist bekennender Hindu, der Ex-Ministerpräsident von Schottland ist pakistanischer Abstammung und der walisische Ministerpräsident wurde in Sambia geboren. In der Vergangenheit hatte man eine buddhistische Innenministerin und mit James Cleverly einen schwarzen Außenminister.

Grund genug für das Politikmagazin „Spectator“, Großbritannien zu einem der „weltweit erfolgreichsten multi-konfessionellen und multi-ethnischen Gesellschaften“ zu erklären.

Kerstin Klein

Ich bin Kerstin, ein leidenschaftlicher Experte für aktuelle Nachrichten und Autor bei Hol Aktuell. Als Generalist verfasse ich Artikel zu nationalen und internationalen Themen mit Strenge und Objektivität. Meine Begeisterung für Journalismus treibt mich dazu an, fundierte und gut recherchierte Informationen zu liefern, die unsere Leser informieren und zum Nachdenken anregen. Mit einem Auge für Details und einem starken Sinn für Ethik strebe ich danach, die Leserschaft von Hol Aktuell stets auf dem neuesten Stand zu halten.

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